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Julia war gerade aus dem Urlaub zurückgekehrt. Ihre fröhliche Ausstrahlung und sonnengeküsste Haut zeugten davon, dass der Urlaub am Meer gut verlaufen war – sie hatte Spaß und konnte sich ausreichend erholen. Doch vor der Reise war ihre Familie sehr angespannt gewesen. Mit Julia zu reisen und sie in ungewohnten Umgebungen ruhig und ausgeglichen zu halten, erforderte mehr als gewöhnliche Anstrengung.

Alles begann bereits vor dem Einstieg ins Flugzeug. Julia musste viel früher aufstehen als sonst und fühlte sich nicht gut. Dazu kam der hektische Trubel am Flughafen, die Menschenmengen und der Lärm – all das überwältigte sie. Das Sicherheitsgefühl, an das sie sich normalerweise klammerte, begann rasch zu schwinden, und ihre Reaktionen steigerten sich entsprechend.

Eltern von Kindern mit besonderen Bedürfnissen – insbesondere jene mit Kindern im Autismus-Spektrum – werden sofort verstehen, was ich meine. Die sonnigen Urlaubstage, auf die sich alle sehnen, von denen man im langen, dunklen Winter träumt, um Körper und Seele zu erfrischen, können für solche Familien zu ganz anderen Erlebnissen werden.

Als sie endlich auf ihren Sitzen im Flugzeug saßen – mit vertrauten, verlässlichen Gesichtern an ihrer Seite – begann Julia sich zu beruhigen. Sie drückte ihr geliebtes Pandakuscheltier noch fester an sich, befolgte Anweisungen, schloss die Augen und versuchte, in einen tiefen Schlaf zu fallen. Sie dachte:
„Vielleicht hört dann die Frau hinter uns auf, alles zu kommentieren, was ich tue, und macht meiner Familie keine zusätzlichen Probleme mehr…“

Familien, die mit Kindern mit besonderen Bedürfnissen reisen, stehen oft vor großen Herausforderungen – selbst im Urlaub. Was jedoch weniger sichtbar ist: Wie stark das Kind sich selbst die Schuld für alles gibt, was passiert. Mit der Zeit können sich diese Kinder zurückziehen, von Enttäuschung belastet und von Schamgefühlen überrollt werden. Zeuge solcher Emotionen bei einem geliebten Menschen zu werden, bricht einem das Herz und kann einen hilflos und überfordert zurücklassen – aber eines solltest du wissen: Du und dein Kind seid nicht allein.
Und: Die Kraft, sich dieser Gefühle bewusst zu werden und sie bewusst zu verwandeln, liegt bei dir.

Scham entsteht nicht durch die Behinderung selbst, sondern durch die Reaktionen der Umwelt darauf.

Kinder möchten ganz natürlich dazugehören. Wenn sie merken, dass sie sich anders bewegen, lernen oder kommunizieren als andere – und diese Unterschiede als „Defizite“ dargestellt werden –, beginnen sie womöglich zu glauben, dass mit ihnen etwas nicht stimmt.

Faktoren wie die Reaktionen anderer, die Art und Weise, wie über Unterschiede gesprochen wird, und ob sich dein Kind wirklich akzeptiert fühlt oder nicht – all das nährt das Schamgefühl.

Sätze in bemitleidendem Tonfall, Ausgrenzung in der Schule oder ständige Hinweise darauf, was das Kind „nicht kann“, verstärken dieses Gefühl. Selbst scheinbar kleine Dinge – wie dass das Kind nur für Therapien aus dem Unterricht genommen wird oder nie Charaktere sieht, die ihm ähneln, in Büchern oder Filmen – flüstern leise:
„Du bist anders. Du gehörst nicht dazu.“

Aber du hast die Macht, diese Geschichte umzuschreiben – mit deiner Präsenz, deiner Stimme und deiner Liebe.

Hier sind einige Strategien, die ich häufig mit Familien teile. Sie haben vielen Kindern geholfen, mehr Selbstvertrauen und ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln. Sie können auch dir helfen, dein Kind auf seinem Weg zu unterstützen:

  • Feiere die Stärken deines Kindes und sprich positiv und stärkend über seine Besonderheiten.

  • Schaffe Raum für schwierige Gefühle. Traurigkeit oder Frustration sind völlig normal. Diese Gefühle definieren nicht, wer dein Kind ist.

  • Zeige inspirierende Vorbilder – Sportlerinnen, Künstlerinnen, Wissenschaftler*innen mit Behinderung –, Menschen, die ein erfülltes Leben führen. Hilf deinem Kind zu sehen, dass auch es Herausforderungen meistern kann, wenn es das möchte. Gib Verantwortung und Raum, die eigenen Fähigkeiten zu entdecken.

Kinder nehmen Unterschiede schon sehr früh wahr. Wenn die Umwelt diese Unterschiede als Mängel darstellt, beginnen sie, ihren eigenen Wert zu hinterfragen. Immer wieder Botschaften wie „Du kannst das nicht“ oder „Du bist anders“ zu hören – direkt oder indirekt – kann zu tiefer Scham und einem Mangel an Selbstvertrauen führen.

Sei die Stimme deines Kindes – aber zeig ihm auch, dass du ihm vertraust. Wenn es passend ist, lass es Entscheidungen treffen und sichere Risiken eingehen. Gesehen, gehört und ernst genommen zu werden, ist die Grundlage für ein gesundes Selbstwertgefühl.

Es reicht nicht, die Unterschiede deines Kindes einfach zu akzeptieren – du musst sie auch wertschätzen. Mach sie zu einem natürlichen und respektierten Teil eures gemeinsamen Lebens.

Und am allerwichtigsten: Sag deinem Kind immer wieder:

Dein Wert hängt nicht davon ab, was du kannst oder nicht kannst.
Deine Stärken sind einzigartig – Dinge, die andere vielleicht nicht haben.
Du bringst eine andere Perspektive in die Welt, und das ist ein Geschenk.
Jeder Mensch hat Stärken und Herausforderungen – und das ist ganz normal.
Was andere über dich denken, ist nicht entscheidend. Wichtig ist, was du über dich selbst denkst.

Und ich möchte dir Folgendes sagen:
Deine Andersartigkeit kann deine Stärke sein.
Sei gut zu dir selbst. Habe keine Angst, um Hilfe zu bitten. Teile deine Gefühle.
Und denk daran – es gibt Menschen, die dich lieben, verstehen und unterstützen.
Dein Weg mag anders sein, aber er kann trotzdem voller Schönheit sein.
Du bist wertvoll – genau so, wie du bist.

Auch dieser Urlaub begann holprig für Julia und ihre Familie, aber dank der Werkzeuge, die sie gemeinsam entwickelt haben, konnten sie die negativen Emotionen in etwas Heilsames verwandeln. Trotz aller Herausforderungen wurde dieser Urlaub ein weiterer bedeutungsvoller Teil einer Erinnerungskette – voller Süße und der Freude, eine Familie zu sein.