Der Tag hatte mit der Frische des Morgens und der Energie der Sonne wunderbar begonnen. Wir waren bereits mitten in der ersten Stunde des Tages mit Max, einem Kind mit der Diagnose Zerebralparese, das vor einem Monat eine Hüftoperation hinter sich gebracht hatte. Wegen der Schmerzen nach der Operation hatte Max gezögert, am Unterricht teilzunehmen, aus Angst, der Schmerz könnte wieder aufflammen. Doch als die Stunde fortschritt, wich seine Anspannung, seine Aufmerksamkeit löste sich von den Schmerzen und er begann zu sprechen:
„Bis ich neun Jahre alt war, hatte ich viele Operationen und habe viele Schmerzen ertragen. Aber weißt du was? Diesmal war es irgendwie am schwersten (!!!). Und leider musste ich meinen Urlaub wieder einmal im Krankenhaus und in Therapien verbringen! Es war überhaupt nicht lustig.“
Sein Blick blieb auf einem Sonnenstrahl hängen, der den Raum wie ein Schwert des Lichts durchdrang. Er versank erneut in Gedanken und schwieg.
Während ich noch überlegte, wie ich antworten sollte, stellte er plötzlich die Frage:
„Warum kann ich nicht auch wie normale Kinder leben?“
Die Fragen, die mir die Kinder, mit denen ich arbeite, stellen, finde ich immer tiefgründig und bedeutungsvoll für ihr Alter. Oft denke ich lange über ihre Fragen nach oder recherchiere sogar, denn ich glaube fest daran, dass meine Antworten einen positiven Einfluss auf ihr Leben haben können.
Wie viele andere fühlte ich mich auch bei dieser schweren Frage zunächst unwohl. Die Worte blieben mir im Hals stecken. Ich zögerte, weil ich keinen Fehler machen wollte, indem ich vorschnell antwortete. Mir war bewusst, dass er mir vertraute und dass meine Antwort für ihn wichtig war. Zum Glück war dies nicht das erste Mal, dass ich diese Frage hörte, also war ich vorbereitet.
Wenn Sie ein Kind oder einen Menschen mit besonderen Bedürfnissen in Ihrem Leben haben, bin ich sicher, dass auch Sie diese oder eine ähnliche Frage gehört haben oder noch hören werden. Wenn dieser Moment kommt, möchte ich Ihnen einen Leitfaden geben, wie Sie mit ruhiger Stimme, ohne Tränen in den Augen und mit Selbstvertrauen antworten können. Dies ist eine Methode, die ich selbst erlebt habe und deren positive Ergebnisse ich gesehen habe.
Wenn ein Kind oder eine Person mit besonderen Bedürfnissen diese Frage stellt, ist das Wichtigste, ihm zu zeigen, dass Sie ihn verstehen und seine Gefühle ernst nehmen. Hier sind einige Vorschläge, wie Sie einfühlsam und unterstützend antworten können:
1. Zeigen Sie, dass Sie seine Gefühle verstehen:
Der Grund, warum das Kind Ihnen diese Frage stellt, ist, dass es glaubt, Sie könnten es verstehen und ihm eine vertrauenswürdige Antwort geben. Betonen Sie, dass Sie es verstehen und wissen, dass es für ihn schwer ist. Sagen Sie ihm, dass seine Gefühle berechtigt sind und es völlig normal ist, sich so zu fühlen. Wahrscheinlich möchte das Kind, wenn es sich verstanden fühlt, noch mehr erzählen und sich erleichtern. Lassen Sie es erzählen. Hören Sie zu…
Nachdem Sie die negativen Gefühle des Kindes anerkannt und akzeptiert haben, lenken Sie es sanft zu positiven Gedanken. Zum Beispiel können Sie sagen:
„Ich versuche zu verstehen, wie du dich fühlst. Manchmal kann es schwer sein, anders zu sein, aber das ändert nichts an deinem Wert.“
2. Erklären Sie, dass Anderssein nichts Schlechtes ist:
Sie können das Gespräch fortsetzen mit:
„Eigentlich gibt es so etwas wie ‚normal‘ gar nicht; jeder hat seine Stärken und Herausforderungen, und jeder lebt sein eigenes Leben. Auch du hast wunderbare Seiten. Manchmal machst du Dinge auf andere Weise, aber du kannst so viel erreichen.“
Betonen Sie, dass das Kind genauso besonders ist wie alle anderen.
3. Erinnern Sie es an seine Stärken:
Sagen Sie:
„Deine Behinderung definiert dich nicht. Du bist viel mehr als das.“
Erinnern Sie es an eine seiner Stärken, auf die es stolz ist. Zum Beispiel:
„Du bist ein sehr liebevoller Mensch, und die Menschen mögen dich deshalb.“
Fragen Sie es dann: „Was findest du, ist deine größte Stärke?“
So helfen Sie dem Kind, sich an seine Stärken zu erinnern und sich von negativen Gedanken zu lösen. Bitten Sie es, Beispiele zu geben, in denen es sich glücklich und stolz fühlte.
4. Geben Sie Hoffnung und zeigen Sie Alternativen auf:
Erklären Sie, dass jeder im Leben einige Hindernisse hat, aber durch Beharrlichkeit und eigene Wege erfolgreich sein kann. Sagen Sie:
„Vielleicht kannst du manche Dinge nicht wie alle anderen tun, aber wir können gemeinsam neue Wege für dich finden.“
Erzählen Sie ihm von schönen Plänen für die Zukunft und dass Sie ihn daran beteiligen möchten. Wenn Sie schon Ideen haben, teilen Sie diese mit und fügen Sie hinzu:
„Wir werden weiterhin gemeinsam entdecken, was wir alles machen können.“
5. Zeigen Sie Ihre Liebe und Unterstützung:
Durch die Zukunftspläne haben Sie ihm bereits Hoffnung und Ihre Liebe vermittelt. Betonen Sie zusätzlich:
„Ich bin immer für dich da und liebe dich so, wie du bist.“
Abschließend sagen Sie:
„Du bist für mich sehr wertvoll und machst mein Leben schöner.“
Sie werden sehen, dass dieses Gespräch nicht nur dazu beiträgt, dass sich das Kind besser fühlt und sich unterstützt fühlt, sondern auch, dass Sie beide erneut erkennen, dass Sie diesen Weg gemeinsam gehen und einander wichtig sind.
Nicht nur Ihr Kind, auch Sie werden sich stärker, motivierter und glücklicher fühlen.
Wenn Sie ebenfalls eine Methode angewendet haben, die sich in ähnlichen Situationen als hilfreich erwiesen hat, würde ich mich sehr freuen, wenn Sie sie mit mir teilen.
Mit Liebe…